EuGH, Urteil vom 12.05.2011 – C-115/09 – veröffentlicht in DVBl 2011, 757

Entscheidung
Der nordrhein-westfälische Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) klagte gegen einen Vorbescheid sowie eine Teilgenehmigung zur Errichtung eines Steinkohlekraftwerks in Lünen und machte unter anderem geltend, das Vorhaben verstoße gegen Art. 6 der FFH-Richtlinie.

Das OVG Nordrhein-Westfalen kam zu dem Ergebnis, dass von einer Verletzung des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie auszugehen sei. Denn mit der Umweltverträglichkeitsprüfung sei nicht nachgewiesen worden, dass das Vorhaben zu keiner erheblichen Beeinträchtigung der in der Nähe gelegenen FFH-Gebiete führen könnte. Allerdings könne eine Umweltorganisation nach den nationalen Rechtsvorschriften nicht die Verletzung wasserrechtlicher und naturschutzrechtlicher Vorgaben sowie des Vorsorgegrundsatzes nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG rügen, da diese Vorschriften keine Rechte Einzelner im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) begründeten. Die vorgenannten und hier potentiell verletzten Vorschriften beträfen vorrangig die Allgemeinheit und nicht den Schutz der Rechtsgüter Einzelner. Das OVG wollte daher geklärt wissen, ob die Klage gleichwohl für zulässig erklärt werden müsse, da die aus dem nationalen Recht resultierende Beschränkung des Zuganges zu den Gerichten die praktische Wirksamkeit der UVP-Richtlinie beeinträchtigen könnte.

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die UVP-Richtlinie einer entsprechenden Beschränkung des Zugangs zu den Gerichten, wie sie das deutsche Recht im UmwRG vorsieht, entgegensteht. Wird ein Projekt genehmigt, das möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne der UVP-Richtlinie hat, so kann einem anerkannten Umweltverband der Zugang zu den Gerichten nicht mit der Begründung verwehrt werden, die verletzte umweltrechtliche Vorschrift schütze nur die Interessen der Allgemeinheit und nicht die Rechtsgüter Einzelner. Der Umweltverband könne daher die Verletzung des Art. 6 der FFH-Richtlinie auch dann vor Gericht geltend machen, wenn das nationale Recht dies grundsätzlich aufgrund des Schutzzwecks der Regelung ausschließe.

Zwar stehe es dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich frei, den Zugang zu den Gerichten wegen Verstößen gegen die UVP-Richtlinie auf subjektiv-öffentliche Rechte zu beschränken. Diese Beschränkung könne aber als solche nicht auf Umweltverbände angewendet werden, weil dadurch die Ziele der UVP-Richtlinie missachtet würden. Denn die UVP-Richtlinie gewährleiste gerade „einen weiten Zugang zu den Gerichten“. Zudem würde den Umweltverbänden dadurch die Möglichkeit genommen, die Beachtung der aus dem Unionsrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen, die in den meisten Fällen auf das allgemeine Interesse und eben nicht auf den alleinigen Schutz der Rechtsgüter Einzelner gerichtet seien. Zu den Rechten im Sinne der UVP-Richtlinie, deren Verletzung durch einen Umweltverband geltend gemacht werden könnten, gehörten daher zwingend die nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Umwelt umsetzen, sowie die unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Umweltrechts der Union.

Praxishinweis
Aufgrund der Entscheidung des EuGH wird der Gesetzgeber das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz anpassen und den Zugang zu den Gerichten für Umweltverbände erleichtern müssen. Diese können von nun an gerichtlich die Einhaltung zumindest solcher umweltrechtlicher Rechtsvorschriften verlangen, die auf der Umsetzung von Umweltrecht der Gemeinschaft beruhen bzw. als Umweltrecht der Gemeinschaft unmittelbar anwendbar sind, und zwar unabhängig davon, ob diese Rechtsvorschriften „drittschützend“ sind, d. h. ob sich ein Einzelner unmittelbar auf die Einhaltung der Rechtsvorschriften berufen kann oder nicht.