EuGH, Urteil vom 16.06.2011 – Rs. – C – 65/09 – veröffentlicht in IBR 2011, 400

Entscheidung
Ein Bauherr kaufte bei einem Baustoffhändler polierte Bodenfliesen und ließ diese von einem Fliesenleger in seinem Haus verlegen. Nachdem zwei Drittel der Fliesen bereits verlegt waren, zeigten sich auf der Fliesenoberfläche Schattierungen. Eine Mangelbeseitigung war nur durch den kompletten Austausch aller Fliesen möglich. Der Händler verweigerte dies unter Berufung auf die Unverhältnismäßigkeit der hierdurch entstehenden Kosten (§ 439 Abs. 3 BGB). Das OLG Frankfurt hat den Fliesenhändler zur Nachlieferung von mangelfreien Fliesen sowie zur Zahlung der Kosten für Ausbau und Entsorgung der mangelhaften Fliesen verurteilt. Der BGH war der Ansicht, dass der Bauherr nach deutschem Recht im Rahmen der Nacherfüllung keinen Anspruch auf Erstattung von Ausbau- und Entsorgungskosten habe. Hierbei könne es nach Auffassung des BGH dahinstehen, ob dem Bauherrn ein solcher Anspruch schon dem Grunde nach zustehe, denn jedenfalls habe der Händler den Komplettaustausch der Fliesen wegen „absoluter Unverhältnismäßigkeit“ der Kosten nach § 439 Abs. 3 BGB verweigern können. Weil sich jedoch ein Anspruch auf Erstattung von Ausbau- und Entsorgungskosten möglicherweise aus Art. 2 und 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/ EG ergeben kann, hat der BGH entsprechende Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Nach der Entscheidung des EuGH ist Art. 3 Abs. 2 und 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 99/44/ EG dahingehend auszulegen, dass der Verkäufer von Verbrauchsgütern (wozu auch Baustoffe für das Bauprojekt eines Verbrauchers zählen), im Falle des Auftretens von Mängeln an einem bereits eingebauten Verbrauchsgut außer zur Nachlieferung eines mangelfreien Verbrauchsguts grundsätzlich auch dazu verpflichtet ist, entweder selbst das bereits eingebaute mangelhafte Verbrauchsgut auszubauen und zu entsorgen und das mangelfreie Verbrauchsgut neu einzubauen oder die hierfür notwendigen Kosten zu tragen. Diese Verpflichtung des Verkäufers besteht unabhängig davon, ob er sich im Kaufvertrag verpflichtet hatte, das ursprünglich gekaufte Verbrauchsgut einzubauen. Der Verkäufer kann den Ausbau des mangelhaften und den Einbau eines mangelfreien Verbrauchsguts grundsätzlich nicht wegen Unverhältnismäßigkeit der Kosten verweigern, wenn dies die einzige Möglichkeit der Mangelbeseitigung ist. Art. 3 Abs. 3 der Verbrauchsgüterrichtlinie 99/44/EG schließt jedoch nicht aus, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts, falls erforderlich, auf einen Betrag beschränkt wird, der dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit angemessen ist. In diesem Fall ist dem Verbraucher die Möglichkeit zu gewähren, statt einer Ersatzlieferung eine angemessene Minderung des Kaufpreises oder die Vertragsauflösung zu verlangen.

Praxishinweis

Mit der vorliegenden Entscheidung widerspricht der EuGH der bisherigen Rechtsprechung des BGH, der eine Verpflichtung des Verkäufers zum Einbau mangelfrei nachgelieferter Sachen verneint hatte (BGH, Urteil vom 15.07.2008 – VIII ZR 211/07, IBR 2008, 505). § 439 Abs. 3 BGB ist richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass der Verkäufer den Ausbau der mangelhaften und den Einbau einer mangelfreien Sache grundsätzlich nicht wegen Unverhältnismäßigkeit der Kosten verweigern kann, wenn dies die einzige Möglichkeit der Mangelbeseitigung ist.

Die EuGH-Entscheidung beschränkt sich allerdings auf den Verbrauchsgüterkauf und betrifft nicht Kaufverträge zwischen Unternehmern. Ob sich die BGH-Rechtsprechung in dieser Hinsicht zukünftig entwickeln wird, bleibt abzuwarten.