HessVGH, Urteil vom 04.12.2008 – 4 A 882/08 veröffentlicht in UPR 2009, 115

Entscheidung
Die Klägerin begehrt die Genehmigung für die Errichtung eines Gartencenters in der Nähe einer zentralen Abwasserbehandlungsanlage, die in etwa 250 m Entfernung vom klägerischen Grundstück angesiedelt ist und von der Beigeladenen betrieben wird. Im näheren Umfeld befinden sich verschiedene weitere Gewerbebetriebe, wie beispielsweise eine Schrott- und Metallrecyclinganlage, Bürogebäude sowie ein Gewerbepark mit Hochregallager, darüber hinaus ein Möbelhaus, ein Farbengroßhandel und andere Einzelhandelsbetriebe. Auf den Antrag der Klägerin hin erteilte die Baubehörde den beantragten Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens.

Gegen den Bauvorbescheid erhob die Beigeladene Widerspruch. Sie argumentierte, dass die Baubehörde mit Erteilung der Genehmigung die ihr nach den Bestimmungen des europäischen und nationalen Immissionsschutzrechts gegenüber der Beigeladenen obliegenden Pflichten verletze. Die Stadt müsse einen angemessenen Abstand zwischen dem Betriebsbereich der Beigeladenen und der Umgebung gewährleisten. Nachdem die Baubehörde nach sieben Monaten nicht über den Nachbarwiderspruchs entschieden hatte, erhob die Klägerin Untätigkeitsklage. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschied, dass die Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO zulässig sei.

Zu Recht!
In der vorliegenden Konstellation konnte auch die Klägerin als von dem Verwaltungsakt Begünstigte Untätigkeitsklage erheben. Die Klagebefugnis war insoweit nicht auf die widerspruchsführende Beigeladene beschränkt. Schon der Wortlaut des § 75 Satz 1 VwGO beschränkt die abweichend von § 68 VwGO eröffnete Klagemöglichkeit nicht auf denjenigen, der selbst den Widerspruch eingelegt hat. Denn in Fällen eines eingelegten Drittwiderspruchs würde der angefochtene Bauvorbescheid nicht bestandskräftig werden und die Rechtsstellung des Bauherrn bliebe in der Schwebe, wenn nicht auch der Adressat eines Verwaltungsakts, der nicht Widerspruchsführer ist, Untätigkeitsklage erheben könnte. Auch die Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO wurde durch das Gericht bestätigt. Zwar gibt es nach überwiegender Meinung kein einklagbares subjektives Recht auf Erlass eines Widerspruchsbescheides, da der objektiv-rechtlichen Verpflichtung der Widerspruchsbehörde nach § 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur sachlichen Verbescheidung des Widerspruchs grundsätzlich kein Anspruch des Widerspruchführers korrespondiert. Etwas anderes gilt aber bei geltend gemachten Ansprüchen auf Erlass eines den Nachbarwiderspruch zurückweisenden Widerspruchsbescheides. Ansonsten würde in diesen Fällen effektiver Rechtsschutz für den Bauherrn vereitelt.

Praxishinweis
Für den Bauherrn bedeutet diese Klagemöglichkeit ein wesentliches Instrument zur Verwirklichung seines Vorhabens. Da der Bauherr über den Eingang eines Nachbarwiderspruchs regelmäßig von der Baubehörde in Kenntnis zu setzen ist, gilt es, für diesen Fall die Frist für die Untätigkeitsklage aus § 75 VwGO im Auge zu behalten, um bei erheblicher Verzögerung der Entscheidung über den Nachbarwiderspruch entsprechend Klage erheben zu können. Die Klage ist frühestens nach Ablauf von drei Monaten nach Einlegung des Widerspruchs zulässig.