OLG Stuttgart, Urteil vom 09.07.2019 – 10 U 14/19

BGH, Beschluss vom 15.04.2020 – VII ZR 164/19 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Zu diesem Urteil erschien bereits im letzten Newsletter ein Beitrag zu der Frage, wann eine Mangelbeseitigung unverhältnismäßig ist. In dem Prozess verklagten die Bauherren nicht nur das Bauunternehmen (vgl. https://www.mek-law.de/2021/05/27/einwand-der-unverhaeltnismaessigkeit-kompletter-rueckbau-und-neuerrichtung/) sondern auch den Architekten.

Im Verhältnis Bauherr – Architekt beschäftigt sich der Senat in diesem Urteil mit der Frage, ob eine Pflicht des Architekten zur Materialprüfung besteht.

Bei dem Bauvorhaben handelt es sich um die Errichtung eines Einfamilienhauses. Die Bauherren beauftragten den Architekten mit der Planung und der Objektüberwachung. Der Architekt plant eine Ausführung des Kellers als „weiße Wanne“ um den Keller vor drückendem Wasser zu schützen. Unter der Bodenplatte soll eine Dämmung aus XPS eingebaut werden. Wie im letzten Newsletter ausgeführt, führt der beauftragte Unternehmer jedoch eine Dämmung aus EPS aus, die sich von einer Dämmung in XPS deutlich unterscheidet und für die vorgesehene Verwendung nicht zugelassen ist.

Die Bauherren nehmen den Architekten mit Schadensersatz für die Kosten der Mängelbeseitigung (Rückbau und Neuerrichtung) in Anspruch. Hiergegen wendet der Architekt ein, er habe keine vertragliche Pflicht verletzt, denn er müsse keine Materialprüfung vornehmen. Er habe richtig geplant. Die Ausführung der Dämmung sei eine handwerkliche Selbstverständlichkeit, deswegen habe er die Arbeiten nicht besonders überwachen müssen.

 

Die Entscheidung

Den Einwendungen des Architekten folgte das OLG Stuttgart nicht. Nach Ansicht des Senats habe der Architekt die ihm im Rahmen der Objektüberwachung übertragenen Pflichten verletzt.

Der Architekt müsse die Objektüberwachung so durchführen, dass gewährleistet sei, dass das Objekt entsprechend der Baugenehmigung, der Planung, dem Vertragsinhalt und den anerkannten Regeln der Technik sowie den Weisungen des Auftraggebers ausgeführt wird. Daraus folge eine Überprüfung der Arbeiten des Unternehmers in angemessenem Umfang und Abständen. Dies schließe die Überprüfung des gelieferten Materials und den Abgleich mit dem vertraglich geschuldeten Material ein. Es sei richtig, dass sich der Umfang der geschuldeten Kontrollen (auch) danach richte, wie schadensträchtig die Arbeiten sind. Handwerkliche Selbstverständlichkeiten seien weniger intensiv zu überwachen, als Arbeiten denen typische Gefahren innewohnen, wie etwa Abdichtungsarbeiten. Sie seien technisch anspruchsvoll und besonders sorgfältig auszuführen, da sich Fehler erheblich auswirken können. Dass die Verlegung der Dämmung handwerklich einfach ist, sei unerheblich, da es darauf ankäme, dass die geeignete Dämmung verlegt wird. Hierfür bestehe sehr wohl die Pflicht zur Überprüfung, insbesondere auch, weil für den Fall falschen Materialeinsatzes oder anderer Mängel die Nachbesserung noch ohne größeren Aufwand möglich wäre (wie sich am hiesigen Fall zeigt).

Da die gegenständliche Dämmung unter der Bodenplatte liegt, sei die Überprüfung des Dämmmaterials im vorliegenden Fall auch wegen der Standsicherheit des Gebäudes notwendig gewesen.

 

Praxistipp

Der Umfang der Überwachungspflichten des Architekten im Rahmen der Objektüberwachung ist abhängig von diversen Faktoren und kann deshalb nur für den jeweiligen Einzelfall bestimmt werden. Die Gerichte haben aber verschiedene Anhaltspunkte entwickelt, die für eine geringere oder aber eine erhöhte Überwachungspflicht sprechen können. Zur Orientierung können Sie sich folgende Fragen stellen:

  1. Handelt es sich um einfach und übliche – ggf. „niedere“ Arbeiten, die etwa auch von einem wenig erfahrenen Mitarbeiter ausgeführt werden könnten? Falls ja, besteht die Vermutung, dass eine geringere Überwachungspflicht geschuldet wird.

    Gegenfragen:
    Ist es besonders wichtig, dass das richtige Material verwendet wird (vgl. hiesiger Fall)?

    Werden die Arbeiten durch den Baufortschritt verdeckt, so dass sie anschließend nicht mehr untersucht werden können? Falls ja, entfällt die Vermutung der geringeren Überwachungspflicht.

  2. Sind die Arbeiten als besonders wichtig oder kritisch einzustufen? Bergen die Arbeiten typische Gefahrenquellen (Feuchtigkeit, Anschlussgewerke)?

    Falls ja, sind die Maßnahmen besonders sorgfältig zu überwachen.

  3. Gab es Anzeichen, dass der Unternehmer nicht die nötige Sachkenntnis mitbringt? Hat sich der Unternehmer in der Vergangenheit als unzuverlässig erwiesen?

    Falls ja, sind an die Objektüberwachung erhöhte Anforderungen zu stellen. Obowhl in Anspruch genommene Architekten diese Argumentation häufig verwenden um die Verantwortung von sich schieben („Der hat doch ständig schlampig und unzuverlässig gearbeitet!“), sprechen diese Tatsachen am Ende gegen sie und erhöhen den Maßstab, der an ihre Leistungen gelegt wird.

  4. Erbringt der Bauherr die Arbeiten in Eigenleistung, also selbst?

    Falls ja, verringert sich die Überwachungspflicht nicht, wie man vielleicht denken mag. Der Architekt wird von seiner Überwachungspflicht nicht schon deshalb entbunden, weil der Bauherr die Leistungen selbst erbringt. Im Gegenteil wird man unter Umständen davon ausgehen müssen, dass den Architekten besonders intensive Überwachungspflichten treffen, da Bauherren in der Regel keine Baufachleute sind.

 

Rechtsanwalt Philipp Schlemmer