OLG Schleswig, Urteil vom 17.12.2020 – 7 U 21/18;

BGH, Beschluss vom 23.02.2022 VII ZR 117/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Das OLG Schleswig befasste sich in seiner Entscheidung mit der besonders praxisrelevanten Frage, wie nun die Vergütung bei Nachträgen wegen geänderter Leistungen zu ermitteln ist.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Auftraggeber – im vorliegenden Fall der Bund – schließt mit dem Auftragnehmer einen Vertrag über die Erbringung von Nassbaggerarbeiten. Der ursprüngliche Auftrag sieht eine Tiefe von -7,30 m vor, die durch eine Vertiefungsbaggerung erreicht werden sollte. Während der Ausführung ordnet der Auftraggeber eine weitere Vertiefung an, wodurch eine kombinierte Flächen- und Böschungsbaggerung durchgeführt werden muss. Der Auftragnehmer macht dafür einen Nachtrag in Form von Zulagepositionen geltend, da er nun einen anderen Bagger benutzen muss und dadurch die Leistungen aufwändiger werden.

 

Die Entscheidung

Zunächst stellt das OLG Schleswig klar, dass es sich bei den vom Auftraggeber geforderten Leistungen um geänderte Leistungen im Sinne des § 1 Abs. 3 VOB/B handelt und führt zur Abgrenzung aus. Der Auftraggeber hat die nachträgliche Vertiefung der Fahrrinne von -7,30 m auf -7,50 m angeordnet. Die Anordnung nach § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B erfolgt formlos, so dass sie auch mündlich wirksam erteilt werden könne. Es läge eine geänderte Leistung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B und keine zusätzliche Leistung nach § 2 Abs. 6 VOB/B vor. Das OLG führt aus, eine zusätzliche Leistung im Sinne des § 2 Abs. 6 VOB/B beträfe den Fall, dass eine neue, vom bisherigen Vertrag noch nicht umfasste Leistung verlangt wird, § 2 Abs. 5 VOB/B beträfe dagegen den Fall, dass eine vom Vertrag vorgesehene Leistung anders ausgeführt werden soll als ursprünglich beauftragt. Im vorliegenden Fall läge deshalb eine geänderte Leistung vor. Der Auftragnehmer war bereits damit beauftragt, Baggerarbeiten durchzuführen. Diese sollten nach der Anordnung nur anders ausgeführt werden. Dem Grunde nach stehe dem Auftragnehmer somit ein Anspruch auf Mehrvergütung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B zu.

Bezüglich der Frage, wie der Nachtragspreis zu bilden sei, enthalte der Vertrag und die dem Vertrag zugrundeliegende VOB/B eine Regelungslücke, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen sei. Das Schließen einer Regelungslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung erfolgt durch die Erforschung, was die Parteien im Hinblick auf den mit dem Vertrag verfolgten Zweck bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben vereinbart hätten. Für den Fall, dass das Leistungsverzeichnis Leistungen ausweist, die den Nachtragsarbeiten ähnlich sind, sei die Frage danach, was die Vertragspartner vereinbart hätten, so zu beantworten, dass sie die Preisbildung an der Kalkulation der Vergleichsposition orientiert hätten. Im vorliegenden Fall war eine LV-Position für Leistungen eines anderen Bauabschnitts mit der nachtragsgegenständlichen Flächenbaggerung vergleichbar. Dem OLG zufolge war die Kalkulation der Vergleichsposition der Nachtragspreisbildung zu Grunde zu legen.

 

Praxistipp

Entscheidend ist – wie bei so vielen Fällen – die individuelle Betrachtung des Einzelfalls und insbesondere der vertraglichen Vereinbarung, liegen sie noch so „versteckt“. Im vorliegenden Fall erfolgte die Entscheidung des OLGs im Ergebnis richtig. In den VHB des Bundes stand: „Bei der Ermittlung der Vergütung ist von den vereinbarten Preisen und den Grundlagen der Preisermittlung des erteilten Auftrags auszugehen. (…) So bleibt der vereinbarte Preis – mag er auch ein niedriger schlechter oder ein hoher guter Preis sein – grundsätzlich als Ausgangsbetrag der nachträglichen Vergütungsberechnung unverändert.”.

Bei VOB/B-Verträgen, die vor der letzten Reform des Baurechts, also vor dem 01.01.2018, geschlossen wurden, muss die Regelungslücke gefüllt werden, was nach der Rechtsprechung des OLG Schleswig anhand der LV-Preise vergleichbarer Leistungen erfolgen kann. Mit der Einführung des neuen Baurechts wurde durch die Regelung des § 650c Abs. 1 und Abs. 2 BGB die Regelungslücke für Bauverträge mit Vertragsschluss seit dem 01.01.2018 geschlossen. Es ist jedoch trotzdem genau hinzuschauen. Der § 650c BGB kann vertraglich ausgeschlossen werden, dann wäre die Regelungslücke weiterhin per Auslegung zu füllen.

Wie so oft gilt: je vorausschauender die Parteien den Vertrag gestalten, umso mehr Streitigkeiten können vermieden werden. Das gilt insbesondere angesichts des höchstrichterlich noch ungeklärten Verhältnisses der VOB/B zum BGB. Es steht den Parteien frei ein Prozedere zu vereinbaren, wie Nachtragspreise ermittelt werden. Insbesondere wenn dies bereits im Vertrag anschaulich anhand von Rechenbeispielen erläutert wird, wird ein Streit – wie der hiesige – zu vermeiden sein.

Rechtsanwalt Philipp Schlemmer