BGH, Urteil vom 16.03.2023 – VII ZR 94/22

Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass kein Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i Abs. 1 BGB vorliegt, wenn ein Verbraucher mit einem Unternehmer einen Vertrag über ein einzelnes Gewerk im Rahmen des Neubaus eines Gebäudes schließt.

Der vorliegende Fall betrifft private Bauherren, die einen Neubau errichten ließen und die erforderlichen Gewerke einzeln an verschiedene Unternehmer vergeben haben. Nach Abschluss der Arbeiten stellte einer der Auftragnehmer Abschlagsrechnungen, auf die die Auftraggeber jedoch nur einen Teilbetrag zahlten. Daraufhin forderte der Auftragnehmer die Auftraggeber gemäß § 650f Absatz 1 Satz 1 BGB zur Stellung einer Sicherheit auf, was jedoch nicht erfolgte. Das Landgericht gab dem Auftragnehmer, der die Sicherheit einklagte, recht, während das Oberlandesgericht die Klage abwies, da es trotz des Vertrags über ein einzelnes Gewerk einen Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i Abs. 1 BGB annahm.

Die Entscheidung

Der BGH ist anderer Auffassung. Nach Ansicht des BGH seien die Voraussetzungen des § 650i Abs. 1 BGB nicht erfüllt. Der BGH betont, dass ein Verbraucherbauvertrag voraussetze, dass der Unternehmer zum Bau eines neuen Gebäudes verpflichtet werde. Diese Verpflichtung gehe über die bloße Erbringung eines einzelnen Gewerks im Rahmen eines Neubaus hinaus. Hierin sehe der BGH eine wesentliche Unterscheidung zu § 650a BGB, der unter anderem Verträge über die Herstellung eines Bauwerks „oder eines Teils davon“ erfasse. Die Pflicht des Unternehmers, dem Verbraucher eine Baubeschreibung zur Verfügung zu stellen, die unter anderem Pläne mit Raum- und Flächenangaben sowie Ansichten, Grundrisse und Schnitte enthalten müsse, bestärke nach Auffassung des BGH diese Auslegung. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift wird vom BGH herangezogen, um zu verdeutlichen, dass keine absichtliche Abweichung von der Terminologie in anderen Vorschriften erfolgte, um Rechtsklarheit für den Unternehmer zu gewährleisten.

Der BGH weist darauf hin, dass eine Ausweitung des Verbraucherbauvertragsbegriffs auf gewerkeweise vergebene Leistungen im Rahmen eines Gebäudeneubaus zu einer Einschränkung des Verbraucherschutzes führen und im Widerspruch zur Verbraucherrichtlinie 2011/83/EU stehen würde. Gemäß dieser unterlägen nur Verträge über den Bau von neuen Gebäuden und erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden nicht der Richtlinie.

Praxistipp

In der Praxis bedeutet dies, dass Verbraucher, die einzelne Gewerke im Rahmen eines Neubaus vergeben, nicht als Verbraucherbauvertrag nach § 650i BGB behandelt werden. Obwohl dies zu einer Ungleichbehandlung bei der Sicherheitsleistung nach § 650f BGB führen kann, ist die Entscheidung des BGH im Ergebnis und in der Begründung nachvollziehbar. Eine Ausweitung des Verbraucherbauvertragsbegriffs würde den Schutz von Verbrauchern einschränken und könnte zu Rechtsunsicherheit für Unternehmer führen.

Unternehmern einer Einzelgewerkvergabe im Rahmen eines Neubaus ist trotz dieser Entscheidung zur Vorsicht geraten. Auch wenn es sich nach dem Urteil des BGH nicht um einen Verbraucherbauvertrag handelt, könnte immer noch ein Verbrauchervertrag geschlossen worden sein, bei dem dem Verbraucher ein gesetzliches Widerrufsrecht zusteht. Ein solcher Verbrauchervertrag kommt zustande bei einem sog. Fernabsatzvertrag (alle Verhandlungen und der Vertragsschluss erfolgten z.B. am Telefon oder per E-Mail) oder bei einem Vertrag, der außerhalb der Geschäftsräume geschlossen wurde (z.B. auf der Baustelle oder am „Küchentisch“ des Verbrauchers). Bei solchen Verträgen ist der Verbraucher immer bezüglich seines Widerrufsrechts zu belehren.

 

Philipp Schlemmer

Rechtsanwalt