VG Gießen, Urteil vom 31.03.2008 –  1 K 9908 – veröffentlicht in UPR 2009, 200

Entscheidung
Die Klägerin hatte einen Bauantrag zur Anbringung einer Werbetafel an einem Hotelgebäude gestellt. 
Die Baugenehmigung erging im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren durch die in § 57 Abs. 2 Satz 3 Hessische Bauordnung (HBO) normierte Genehmigungsfiktion. Noch bevor die Klägerin die Werbetafel anbringen konnte, wurde sie von der zuständigen Baubehörde zum Erlass eines beabsichtigten Anbringungsverbots angehört. Die Bauaufsicht vertrat die Ansicht, dass die Werbeanlage das Haus verunstalten würde. Hiergegen wandte sich die Klägerin und bat um Erteilung der Baugenehmigung, woraufhin die Bauaufsichtsbehörde gleichwohl durch Bescheid die Anbringung der Werbeanlage untersagen ließ, wobei sie sich auf „§ 52 Abs. 2 Satz 2 HBO“ stütze. Sie begründete ihren Bescheid damit, dass das Bauvorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften widersprechen würde, da es gegen das Verunstaltungsverbot aus der HBO verstoße. Das vereinfachte Genehmigungsverfahren nach § 57 HBO umfasse die Prüfung der Zulässigkeit des Bauvorhabens nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften sowie auch von Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Vorschriften nach Maßgabe des § 63 HBO und nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach diesen Vorschriften entfällt oder ersetzt wird. Ein entsprechender Abweichungsantrag sei nicht gestellt worden. Zudem bestünden auch Zweifel, ob ein Abweichungsantrag positiv beschieden werden könnte, da das Verunstaltungsverbot zu den baurechtlichen Grundanforderungen gehöre. Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. In seiner Entscheidung führte das VG zunächst aus, dass es die Rechtsnorm § 52 Abs. 2 Satz 2 HBO, auf die sich die Beklagte stütze, nicht gäbe. Daher liege wegen des Ausgehens von falschen rechtlichen Voraussetzungen ein Ermessensfehler in Gestalt eines Erwägungsdefizits vor. Doch auch bei der Annahme, die Beklagte wolle sich auf die bauordnungsrechtliche Generalklausel des § 53 Abs. 2 Satz 2 HBO stützen, sei die Maßnahme ermessensfehlerhaft ergangen, da die Norm nicht einschlägig und ihre tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Es stehe der Bauaufsichtsbehörde nicht zu, im Rahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens repressive Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet seien, eine Realisierung des Vorhabens zu verhindern. Einzige Ausnahme hierfür sei das Vorliegen einer konkreten Gefahrenlage, die hier aber nicht bestand.

Eine abstrakte Gefahrenlage reiche für das Einschreiten der Beklagten nicht aus. § 53 Abs. 2 Satz 2 HBO unterfielen generell keine vorbeugenden Maßnahmen, sondern nur nachträgliche Maßnahmen zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände. Unrechtmäßige Zustände seien hier aber noch nicht eingetreten, da die Klägerin ihrer Pflicht, einen Bauantrag im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu stellen, nachgekommen sei und die Beklagte die Genehmigungsfiktion habe eintreten lassen.

Zu Recht!
Die Bauaufsichtsbehörde konnte sich im konkreten Fall nicht auf die bauordnungsrechtliche Generalklausel des § 53 Abs. 2 Satz 2 HBO stützen. In dieser Regelung sowie insbesondere auch in den §§ 71 und 72 HBO sind den Bauaufsichtsbehörden Befugnisse eingeräumt, im Rahmen der repressiven Kontrolle des Baugeschehens Maßnahmen zu ergreifen. Hingegen ist die präventive Kontrolle durch das Genehmigungsverfahren in den §§ 54 bis 65 HBO abschließend geregelt. Mit dem Anbringungsverbot wollte die Bauaufsichtsbehörde die Klägerin faktisch so stellen, als sei sie nicht im Besitz einer Baugenehmigung und unterliege dem Regime des § 65 Abs. 1 HBO, wonach vor Zugang der Baugenehmigung oder vor Ablauf der Frist des § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO mit der Ausführung nicht begonnen werden darf. Der von der Bauaufsichtsbehörde angeführte § 9 Abs. 1 HBO (Verunstaltungsverbot) gehört jedoch wie das gesamte Bauordnungsrecht – mit Ausnahme von § 63 HBO – gerade nicht zum Prüfprogramm im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren, weshalb es insoweit einzig der Bauherrschaft obliegt, für die Einhaltung des Bauordnungsrechts Sorge zu tragen. Mit dem Ausschluss des Bauordnungsrechts aus dem Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens habe der Gesetzgeber eine bewusste und gewollte Entscheidung getroffen. Diese könne nicht, wie vorliegend durch die Bauaufsichtsbehörde geschehen, durch eine entsprechende repressive bauordnungsrechtliche Maßnahme umgangen werden. Die Bauaufsichtsbehörde sei in den Fällen des von ihr angenommenen Verstoßes gegen materielles Bauordnungsrecht darauf beschränkt, entweder die Baugenehmigung wie beantragt zu erteilen, respektive – wie hier – über die Genehmigungsfiktion des § 57 Abs. 2 Satz 3 HBO als erteilt gelten zu lassen, oder die Baugenehmigung unter dem Hinweis zu erteilen, dass das Vorhaben gegen materielles Bauordnungsrecht verstoße und repressive bauordnungsrechtliche Maßnahmen drohen oder – unter engsten Voraussetzungen – die Baugenehmigung wegen fehlendem Sachbescheidungsinteresse zu versagen. In diesen Fällen der Nichteinhaltung des materiellen Bauordnungsrechts sei, wie auch der zweite Halbsatz des § 53 Abs. 2 Satz 2 HBO zeige, die Bauaufsichtsbehörde auf repressive Maßnahmen beschränkt.

Praxishinweis
Das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nach der HBO stellt für den Bauherrn eine erhebliche Erleichterung bei der Verwirklichung eines Vorhabens dar. Der Bauherr wird insofern selbst in die Pflicht genommen dafür einzu-stehen, dass sein Vorhaben den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. Das Verwaltungsgericht hat verdeutlicht, dass eine Baugenehmigungsbehörde bei Vorlage solcher Anhaltspunkte, die für eine Verletzung des von ihr nicht zu prüfenden Rechts sprechen, lediglich darauf beschränkt ist, dies dem Bauherrn gegenüber mitzuteilen. Solange keine unmittelbare Gefahr der Verletzung eines Rechtsguts vorliegt, dürfen repressive Maßnahmen durch die Bauaufsicht nicht ergriffen werden.