In das Hessische Nachbarrechtsgesetz ist zum Ende des Jahres 2009 eine Neuregelung aufgenommen worden, die eine Duldungspflicht von Grundstücksnachbarn für nachträglich an die Außenfassade angebrachte Wärmedämmung statuiert. Der neue § 10a Nachbarrechtsgesetz (NachbarRG) verpflichtet den Eigentümer und die Nutzungsberechtigten eines Grundstücks Bauteile, die auf ihr Grundstück übergreifen, zu dulden, wenn es sich dabei um eine Wärmedämmung handelt, die über die Bauteilanforderungen der Energieeinsparverordnung vom 24.07.2007 (BGBl. I S. 1519), geändert durch Verordnung vom 29.04.2009 (BGBl. I S. 954), in der jeweils geltenden Fassung für bestehende Gebäude nicht hinausgeht und eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann (§ 10a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 NachbarRG). Darüber hinaus besteht die Duldungspflicht nur, soweit die übergreifenden Bauteile an einer vorhandenen einseitigen Grenzwand auf dem Nachbargrundstück angebracht werden, die Benutzung des betroffenen Grundstücks nicht oder nur geringfügig beeinträchtigen und öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht widersprechen (§ 10a Abs. 1 Nr. 3 NachbarRG). Gemäß § 10a Abs. 3 NachbarRG ist dem Eigentümer des betroffenen Grundstücks ein angemessener Ausgleich in Geld zu leisten. Sofern nicht anderes vereinbart wird, gelten § 912 Abs. 2 und die §§ 913 und 914 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend.
In der Gesetzesbegründung der Landesregierung (Hessischer Landtag, Drucksache 18/855 vom 30.06.2009) wird hierzu eine Entscheidung des BGH zitiert, nach der es den heutigen Erfordernissen und Anschauungen entspräche, eine Möglichkeit zur nachträglichen Dämmung bestehender Bauten zum Zwecke der Energieeinsparung und damit zur Erreichung eines funktionell dem allgemein üblichen Standard zu schaffen (BGH, Urteil vom 11.04.2008, Az.: V ZR 158/07, NJW 2008, S. 2032). Darüber hinaus wird auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, mit dem ein Überbau zum Zweck der Wärmedämmung grundsätzlich für zulässig erklärt worden sein soll, dieser aber an enge Voraussetzungen geknüpft werde (BVerwG, Urteil vom 19.07.2007, Az.: 1 BvR 650/03, NJW-RR 2008, S. 26). Bei genauerer Betrachtung der beiden Entscheidungen zeigt sich jedoch, dass die Gerichte über etwas anders gelagerte Sachverhalte zu entscheiden hatten, und zwar über eine Wärmedämmung auf einer Nachbarwand, d.h. auf einer unmittelbar auf der Grenze stehenden, gemeinschaftlich von beiden Nachbarn genutzten Wand (Urteil des BGH) und über einen Dachüberstand und eine Holzverschalung (Urteil des BVerfG). So eindeutig, wie die Gesetzesbegründung vermuten lässt, ist daher in der zitierten Rechtsprechung die Zulässigkeit einer Duldungspflicht für nachträgliche Wärmedämmungen von grenzständigen Fassaden nicht anerkannt worden.
In der juristischen Fachliteratur (Horst, Grenzüberbau durch Wärmedämmung, NJW 2010, S. 122) wurde in Bezug auf nachträgliche Wärmedämmungen jüngst die Auffassung vertreten, landesrechtlich geregelte Duldungspflichten von übergreifenden Bauteilen seien verfassungswidrig, da sie den Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ aus Art. 31 Grundgesetz (GG) nicht beachteten und die Überbauregelung des § 912 BGB insoweit durch Landesrecht nicht durchbrochen werden könne. Dem kann zwar nach dem oben zitierten Urteil des Bundesverfassungsgericht nicht uneingeschränkt zugestimmt werden, da das Bundesverfassungsgericht eine landesrechtliche Regelung im baden-württembergischen Nachbarrechtsgesetz für verfassungsgemäß erachtet hat, die eine Duldungspflicht von überragenden Bauteilen statuiert (§ 7b Abs. 1 Satz 2 BadWürttNachbG). Dem Urteil kann aber aufgrund des gänzlich anders gelagerten Sachverhalt nicht entnommen werden, dass eine entsprechende landesrechtliche Regelung zur Statuierung einer Duldungspflicht einer nachträglichen Wärmedämmung der grenzseitigen Fassade mit der Verfassung vereinbar ist. Zudem hat das OLG Karlsruhe in einer neuen Entscheidung vom 09.12.2009 (Az.: 6 U 121/09, veröffentlicht in IBR-online) klargestellt, dass eine 15 cm dicke Isolierschicht kein untergeordnetes Bauteil im Sinne des § 7b BadWürttNachbG sei und daher eine Duldungspflicht für eine nachträgliche Wärmedämmung daraus nicht abgeleitet werden könne.
Es ist davon auszugehen, dass die neue Vorschrift des § 10a NachbarRG zeitnah auf den Prüfstand gestellt werden wird, sobald die ersten nachbarlichen Streitigkeiten über die Duldungspflicht nachträglicher Wärmedämmungen vor die Gerichte gelangen. Ob die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit landesrechtlich geregelter Duldungspflichten von untergeordneten Bauteilen auf die nachträgliche Wärmedämmung übertragen werden kann, dürfte im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe aber zumindest fraglich sein.
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