LG Bonn, 1. Zivilkammer, Urteil, 09.06.2021, 1 O 86/19

Die Entscheidung des LG Bonn zu einem VOB/B-Vertrag dem ein öffentliches Vergabeverfahren vorausgegangen ist, beschäftigt sich mit zwei bekannten Themenkreisen des privaten Baurechts, wozu zum einen die 1999 vom BGH erstmal adressierte Kooperationsverpflichtung von Bauvertragsparteien gehört und zum anderen Vorgehensfragen im Rahmen des Behinderungs- und Nachtragsmanagements bei widersprüchlichen bzw. unvollständigen Ausschreibungsunterlagen. Das LG Bonn sah eine Leistungsverweigerung des Bauunternehmers als rechtswidrig, weil kooperationswidrig an, wenn er trotz grundsätzlicher Umsetzbarkeit der Ausschreibungspläne auf deren vollständiger Ausführbarkeit vor Aufnahme der Arbeiten beharrte.

Mit der Entscheidung des LG Bonn wird statuiert, dass auch mit unvollständigen Ausschreibungsunterlagen trotz der Regelung § 3 Abs. 1 VOB/B bei schwierigen Bauvorhaben weitere bilaterale Abstimmungen nach Vertragsschluss notwendig sind, bevor sich ein Bauunternehmer weigern kann, die Leistungen zu erbringen. Zudem wird dem Bauherrn trotz fehlendem Hinweis in den Ausschreibungsunterlagen und trotz vereinbarter Vertragsfristen über den Weg der Kooperation ermöglicht, eine unvollständige Planung nach Vertragsschluss nachzubessern. Das LG Bonn musste nicht klären, ob Behinderungstatbestände gegeben waren, die zu einer Fristverlängerung im konkreten Fall geführt hätten, weil der Bauunternehmer keine rechtzeitige Behinderungsanzeige abgesetzt hatte.

Der öffentliche Auftraggeber wurde im Fall des LG Bonn nach einer auftraggeberseitigen Kündigung aus wichtigem Grund für bis zur Kündigung entstandene Vorhaltekosten vom Bauunternehmer in Anspruch genommen. Der Bauunternehmer meinte, dass die infolge von § 5 Abs. 4 VOB/B ausgesprochene Kündigung unwirksam war, weil er sich aufgrund einer Behinderung infolge von fehlenden ausführungsreifen Plänen nicht in Verzug befunden hatte. Der Bauunternehmer hatte sich darauf berufen, dass die mit der Ausschreibung und auch danach noch AG-seits zur Verfügung gestellten Pläne nicht mit der Örtlichkeit korrespondierten und insofern nicht ausführungsreif waren. Es fand zudem zwischen den Parteien zur Klärung auf der Baustelle ein Termin statt, ohne jedoch, dass danach eine Arbeitsaufnahme durch den Bauunternehmer erfolgte. Insofern kündigte der Auftraggeber einen Tag vor Ablauf der Ausführungsfrist den Bauvertrag außerordentlich. Dies zudem noch ohne Kündigungsandrohung.

Bei dem Bauvorhaben handelte es sich um eine umfangreiche Platzumgestaltung der Stadt G und der Schaffung der Barrierefreiheit auf dem Platz u. a. in Zusammenhang mit der Nutzung des dort zentral verkehrenden ÖPNV.

In dem Fall ist das LG Bonn einer nicht nur rein technischen Beurteilung des Sachverständigen gefolgt, der bei Plänen, die grundsätzlich baureif seien und bei einem sehr komplexen Bauvorhaben im Bestand mit besonderer Bedeutung für den Bauherrn besondere Abstimmungserfordernisse auch bei unvollständigen Ausschreibungs- und Ausführungsunterlagen begründet seien. Man könne und müsse dem Bauunternehmer zumuten bzw. von ihm fordern, sich mit der Stadt als Bauherrin über die unvollständigen Pläne abzustimmen. In der Praxis sei daher „dauerhafte und qualifizierte Kommunikation der handelnden Baubeteiligten notwendig“. Es seien daher eine Baueinweisung sowie regelmäßige Treffen (Jour fixe) während der Bauausführung nötig. Bei diesen seien die örtlichen Gegebenheiten zu prüfen und offene Punkte der Pläne hieran auszurichten. Hierbei seien die fehlenden Angaben zu ermitteln und zu ergänzen (vor allem Ausbaulängen, topografische Besonderheiten im Bestand, Lage von Schächten).

Es war wohl auch entscheidend, dass der Sachverständige feststellt, dass spätestens nach der ersten Baubesprechung den beteiligten Parteien klar gewesen sei, welche Planänderungen zur Erstellung der neuen Verkehrsanlagen notwendig waren um mögliche Divergenzen zwischen Ausführungsplanung und örtlichen Gegebenheiten final zu klären.

Das LG Bonn griff die Argumentation auf und sah darin rechtlich die Verpflichtung zur Kooperation nach der Grundsatzentscheidung des BGH (BGH NJW 2000, 807). Unter Kooperation sei das Zusammenwirken der Vertragsparteien zur Erreichung des gemeinsam verfolgten Vertragszweckes zu verstehen, was (naturgemäß) die Mitwirkung beider Vertragsparteien voraussetze. Dies bedinge in der Baupraxis ein „ständiges Kommunizieren“ zwischen den Vertragspartnern, das insbesondere dem Informationsaustausch (gegenseitige Hinweise), der Klärung der auftretenden Probleme und dem Treffen der notwendigen Entscheidungen (Anordnungen) dient und damit der Beherrschung und Bewältigung der vielfältigen Risiken. Hierher gehört auch die Notwendigkeit zur Durchführung gemeinsamer Befundaufnahmen und eigener, bauunternehmertypischer planlicher Arbeiten des Auftragnehmers (unter Berufung auf Ganten/Jansen/Voit, VOB/B, Vorbemerkung § 3 Rn. 11). Dies Verpflichtung habe der Bauunternehmer im konkreten Fall verletzt, indem er die Klärungen mit der Stadt G nicht bzw. nicht ausreichend geführt und sich auf eine spätere Behinderungsanzeige berufen habe, anstelle die Arbeiten aufzunehmen.

Die Entscheidung des LG Bonns steht im Kontext der Prüf- und Hinweispflichten des Bauunternehmers nach § 4 Abs. 3 und § 3 Abs. 3 VOB/B und der in diesem Zusammenhang weitergehende Rechtsprechung des BGH zu den Kooperationspflichten der Bauvertragsparteien (BGH NJW 2000, 807). Das LG Bonn hält das ausschließliche Berufen der Auftragnehmerseite auf nicht ausführungsreife Unterlagen nach den Kooperationsgesichtspunkten und das darauffolgende Mitwirken des Bauherrn durch ein Zurverfügungstellen ausführungsreifer Pläne zumindest bei komplexen Bestandsbaumaßnahmen für nicht ausreichend. Vielmehr wird als Ausfluss der Kooperationspflicht eine „umfangreiche Kommunikation“ zwischen Parteien zur Klärung wohl objektiv schwieriger Planungsdetails vom Bauunternehmer gegenüber dem Auftraggeber gefordert, der bekanntlicherweise zur Erstellung vollständiger Ausschreibungsunterlagen zur Vermeidung ungewöhnlicher Wagnisse verpflichtet ist. Bei der öffentlichen Ausschreibung muss sich der Auftraggeber im Rahmen der Auslegung der Leistungsbeschreibung nach Treu und Glauben daran festhalten lassen, dass er nach eigenem Bekunden den Auftragnehmern kein ungewöhnliches Wagnis auferlegen will (BGH, Urteil vom 11.11.1993 – VII ZR 47/93).

Das LG Bonn hatte sich wegen der Ausführungen des Sachverständigen offensichtlich nicht mit der Frage beschäftigt, was nach den auch sachverständig festgestellten unklaren Ausführungsplänen geschuldet war, weil es nur auf die Möglichkeit und Verpflichtung des Bauunternehmers zur Arbeitsaufnahme abgestellt hat. Der Bauunternehmer wollte durch das Beharren auf vollständige Pläne ggf. sicherstellen, dass durch die Übermittlung der Pläne eine klare Anordnung nach § 1 Abs. 3 VOB/B vorgelegen und sich damit Diskussionen zum vertraglichen Leistungsumfang im Verhältnis zum Nachtrag nicht oder nicht in der Weise ergeben hätten. Diese Entscheidung hat sich im Nachhinein als die gefährlichere herausgestellt.

Das LG Bonn hat festgestellt, dass eine Kündigungsandrohung für eine Kündigung nach § 5 Abs. 4 VOB/B entfallen kann, weil sie reine Förmelei wäre, wenn die Kündigung einen Tag vor Ablauf der Fertigstellungsfrist erfolgt. Die Entscheidung ist vertretbar und liegt auf der Linie des BGH zum Wegfall von Formerfordernissen, die zu reiner Förmelei führen würden. Dies war im vorliegenden Fall auch deshalb gerechtfertigt, weil der Auftraggeber zwar nicht die Kündigung, aber Schadensersatzansprüche infolge der fehlenden Arbeitsaufnahme angedroht hatte, weshalb es dem Bauunternehmer klar war, dass der Verzug im Zweifel auch zur Kündigung führen würde.

 

Praxistipp

Es ist schwer einschätzbar, ob es sich bei der Entscheidung des LG Bonn um eine Einzelfallentscheidung handelt oder ob sich die obergerichtliche Rechtsprechung anschließen würden. Wenn ja, bedeutet dies für Bauunternehmer, dass sie bei unvollständigen Ausschreibungs- und/oder Ausführungsunterlagen oder sonstigen Leistungshindernissen nicht nur Behinderung und/oder Bedenken anmelden dürfen/können, sondern Kommunikationsangebote zur Lösung derselben machen müssen. Dies zumindest, wenn es sich um komplexe Sachverhalte handelt, die – insbesondere bei Bestandmaßnahmen – eine mangelfreie Ausschreibung ausschließen.

D. h. die Lösung solcher Ausschreibungsdefizite in der Bauabwicklung gehört zur Kooperationspflicht des Auftragnehmers, der nicht einseitig auf der Mitwirkung des Auftraggebers beharren kann. Begleitend dazu, kann und sollte er die Behinderungsanzeigen und etwaigen Mehrkostenanmeldungen absetzen, um für den nicht geschuldeten Abstimmungsvorgang eine Zeitverlängerung, soweit er dadurch behindert sein wird, zu erreichen und ggf. eine Nachtragsforderung.

 

Rechtsanwältin Ursula von Minckwitz