BGH, Urteil vom 14.07.2010 – VIII ZR 45/09 – veröffentlicht in IMR 2010, 416
Entscheidung
Der Wohnungsmieter war für mehrere Monate mit unbekanntem Aufenthalt abwesend und wurde sogar von seiner Verwandtschaft als vermisst gemeldet. Nachdem der Mieter mit zwei Mieten im Rückstand war, kündigte der Vermieter den Mietvertrag durch Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten des Mieters. Nachdem die Polizei die Wohnung durchsucht hatte und der Aufenthalt des Mieters weiterhin nicht ermittelt werden konnte, öffnete der Vermieter ohne zuvor Räumungsklage zu erheben die Wohnung. Er erstellt ein Protokoll über die Räumung und fertigt Lichtbilder der Einrichtungsgegenstände. Weiterhin entsorgte er einen großen Teil der Wohnungseinrichtung und lagerte die restlichen Gegenstände bei sich ein.
Nach Rückkehr des Mieters verlangte dieser vom Vermieter auf der Basis eines von ihm erstellten Gutachtens für die von ihm durch die Entsorgung oder auf sonstige Weise abhanden gekommenen, beschädigten und verschmutzen Gegenstände Schadensersatz in Höhe von 61.812,65 € zuzüglich der ihm entstandenen Gutachterkosten. Der BGH gibt dem Mieter Recht.
Wird eine Wohnung eigenmächtig in Besitz genommen und ausgeräumt, handelt es sich um einen Fall der verbotenen Eigenmacht im Sinne des § 858 Abs. 1 BGB und zugleich um eine unerlaubte Selbsthilfe nach § 229 BGB, wenn der Mieter die Wohnung nicht erkennbar aufgegeben hat. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen. Der Umstand, dass der Mieter vermisst gemeldet und dessen Aufenthalt auch nicht zu ermitteln war, lässt noch keinen Rückschluss darauf zu, dass der Mieter den Besitz an der Wohnung aufgeben wollte. Vielmehr ist der Vermieter verpflichtet, sich auch in solchen Fällen – gegebenenfalls nach öffentlicher Zustellung – einen Räumungstitel zu beschaffen und daraus vorzugehen.
Als Folge seines unberechtigten Handelns haftet der Vermieter verschuldensunabhängig für die dem Mieter entstandenen Schäden. Darauf, dass er über die Voraussetzungen und den Umfang seines Selbsthilferechts geirrt hat, kann sich der Vermieter nicht berufen. Die Ersatzpflicht erstreckt sich insbesondere auf die von ihm entsorgten Einrichtungsgegenstände des Mieters.
Beachtlich ist insoweit, dass es bezüglich dem dem Mieter entstandenen Schaden zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast kommt. Dem Vermieter obliegt insoweit eine Obhutspflicht an den Gegenständen des Mieters. Daraus folgt, dass der Vermieter bei Inbesitznahme ein vollständiges Bestandsverzeichnis hätte aufstellen und den Wert der darin aufgenommenen Gegenstände hätte feststellen müssen. Das Protokoll der Wohnungsöffnung und die Lichtbilder der Einrichtung genügen dieser Inventarisierungspflicht nicht. Indem er dieser Pflicht nicht in ausreichendem Umfang nachgekommen ist, muss er die Behauptung des Mieters widerlegen, dass bestimmte Gegenstände bei der Räumung abhanden gekommen oder beschädigt worden sind und beweisen, dass diese einen geringeren Wert hatten, als vom Mieter behauptet.
Praxishinweis
Welcher Vermieter kennt das Problem nicht? Der Mieter zahlt keine Miete, ihm wird gekündigt aber er räumt die Mietflächen nicht. Nutzungsentschädigung kann oder will der Mieter nicht zahlen. Der Schaden, der dem Vermieter droht, ist erheblich. Eine Vielzahl von Vermietern haben sicherlich in Erwägung gezogen, einfach das Schloss auszuwechseln, die Sachen des Mieters rauszuräumen, einzulagern oder gar zu entsorgen, um Platz für einen zahlenden Mieter zu schaffen.
Die Entscheidung des BGH macht allerdings deutlich, welches Risiko der Vermieter auf sich nimmt, wenn er wie geschildert verfährt. In der Politik, diversen Gremien und der mietrechtlichen Literatur wird dieses Thema und dem Stichwort „Mietnomadentum“ heftig diskutiert. Allein Wohnungsmieter sollen nach Angaben des Immobilienverband Deutschland (IVD) jährlich Mietausfälle in Höhe von 2,2 Milliarden € verursachen. Vor diesem Hintergrund wird vielfach eine Gesetzesänderung verlangt. Ein erster Entwurf, der die Erleichterung einer Kündigung von Mietnomaden vorsieht, wurde nunmehr von der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vorgelegt (siehe dazu die nachfolgenden Ausführungen in dieser Ausgabe unter dem Kapitel Vorschau/Gesetzesänderungen). Bis zu dessen Umsetzung bleibt der Handlungsspielraum des Vermieters zur Verhinderung von Mietausfällen weiterhin sehr begrenzt.
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