OLG Bremen, Urteil vom 09.12.2002 – 4 U 20/21 (nicht rechtskräftig)
Die Parteien schlossen einen Mietvertrag über noch zu errichtende Geschäftsräume. In § 4 Ziffer (1) ist Folgendes geregelt: „Das Mietverhältnis beginnt grundsätzlich mit der Übergabe am 30.08.2017 ….. gerät der Vermieter mit der Übergabe der Mietsache in Verzug, ist für jeden Kalendertag eine Vertragsstrafe i.H.v. 4.500,00 € verwirkt. Weitergehende Schadensersatzansprüche bleiben unberührt. Die Vertragsstrafe wird auf einen Schadensersatzanspruch angerechnet.“
Tatsächlich erfolgte die Übergabe der Mieträume erst am 22.11.2017 – der Mieter forderte die Zahlung einer Vertragsstrafe von insgesamt 378.000,00 €.
Die Entscheidung
Das OLG Bremen gibt der Klage recht. Die dafür tragenden Gründe sind die Folgenden:
- Zunächst ist davon auszugehen, dass die Klausel eine Individualvereinbarung und keine Allgemeine Geschäftsbedingung ist, sodass es nicht auf die §§ 310 Abs. 3 Nr. 1, 309 Nr. 6 BGB ankomme. (Anm.: § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB regelt die Fiktion, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen bei Verbraucherverträgen als vom Unternehmer gestellt gelten, es sei denn, dass sie durch den Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden. § 309 Nr. 6 BGB regelt, dass in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Vertragsstrafe, die für den Fall der Nichtabnahme oder verspäteten Abnahme der Leistung, des Leistungsverzugs oder für den Fall, dass der Vertragsteil sich vom Vertrag löst, unwirksam ist.)
- Die Höhe der Vertragsstrafe sei daher nur noch an §§ 242, 138 BGB (Treu und Glauben und Sittenwidrigkeit) zu messen. Hierzu hat der BGH z.B. im Urteil vom 31.05.2012 (I ZR 45/11) bereits festgehalten, dass insoweit die Höhe eines Vertragsstrafenversprechens im Hinblick auf die Frage, ob Rechtsmissbrauch vorliegt, nach allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu entscheiden ist.
- Das OLG Bremen sieht dabei keine Relation zur Miethöhe im Hinblick auf die mögliche Höhe der Vertragsstrafe – die Vertragsstrafe müsse nicht nur im Verhältnis zur Miete stehen, sondern könne auch den potenziellen Schaden abbilden, der für den Mieter im Fall der verspäteten Übergabe entsteht; dass dies mehr sein kann, als die auf dem Zeitraum entfallene Miete sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Dafür spräche auch, dass die Vertragsstrafe ein Druckmittel ist, um den Schuldner zur Vertragserfüllung anzuhalten.
- Auch das Fehlen einer zeitlichen Obergrenze führe nicht zur Unwirksamkeit der Regelung. Hierzu hat der BGH bereits mit Urteil vom 12.03.2003 – XII ZR 18/00 – entschieden, dass die Vertragsstrafengrenzen für AGB in Bauverträgen nicht für Mietverträge gelten. Als einzige Schwelle bleibt die allgemeine Formulierung, dass die Vertragsstrafe „in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des mit ihr geahndeten Verstoß stehen“ Insoweit wäre die fehlende Deckelung übrigens auch AGB-rechtlich unbedenklich.
Praxistipp
Die Entscheidung in Verbindung mit dem Urteil des BGH vom 12.03.2003 macht deutlich, dass es aus Vermietersicht außerordentlich gefährlich sein kann, pauschalierte Vertragsstrafen für den Fall der verspäteten Fertigstellung eines noch zu errichtenden Mietobjekts zu akzeptieren (gleiches gilt im Übrigen auch für Bauträgerverträge).
Selbstverständlich kann sich der Vermieter gegen die Verwirkung der Vertragsstrafe mit dem Argument wehren, er sei nicht in „Verzug“ – dazu müsste er aber ggf. darlegen, dass die verspätete Übergabe nicht auf einem Verschulden seinerseits beruht. In diesem Falle läuft der Vermieter Gefahr, die relativ hohen Darlegungslasten zu einem unverschuldet gestörten Bauablauf nicht erfüllen zu können – gleiches gilt im Übrigen für Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage (etwa wegen Verzögerung durch die Corona-Pandemie).
Jedenfalls sollte aus Vermietersicht darauf geachtet werden, dass ein „Deckel“ eingezogen wird. Üblicherweise werden sich in gewerblichen Mietverträgen für diese Fälle allerdings auch gewissen Puffer für den Vermieter finden.
Umgekehrt wäre aus Mietersicht natürlich die Vereinbarung einer solcher pauschalierten Vertragsstrafe sinnvoll – ggf. dann auch kombiniert mit einem ausdrücklich geregelten Rücktritts- / Kündigungsrecht für den Fall, dass auch nach einer Pufferperiode die Übergabe nicht gewährleistet wird. Ebenso finden sich in beiderseitigem Interesse in der Regel Ankündigungsverpflichtungen für den genauen Fertigstellungstermin, was ebenfalls sinnvoll ist.
Dr. Tassilo Eichberger
Rechtsanwalt
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