BGH, Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21
Die Parteien streiten über eine Nachzahlung der Miete von April 2020. Wegen der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus im März 2020 wurden zur Eindämmung Allgemeinverfügungen durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt erlassen. Aufgrund einer der Allgemeinverfügungen musste die Beklagte ihr Textileinzelhandelsgeschäft vom 19.03.2020 bis zum 19.04.2020 schließen und entrichtete daraufhin keine Miete für den April 2020. Der Bundesgerichtshof musste vorliegend entscheiden, ob für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der COVID-19-Pandemie die vollständige Zahlung der Miete geschuldet ist oder nicht.
Entscheidung des BGH
Die Frage, ob die COVID-19 Pandemie einen Mangel der Mietsache darstellt oder nur nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zu behandeln ist und welche Minderungsquoten daraus ggf. resultieren war unter den Gerichten bisher umstritten. Die Lösungen reichten von einer Bejahung eines Mangels (wohl eine Mindermeinung) über eine Verneinung eines Mangels und ebenso eines Anpassungsanspruches (wohl auch eine Mindermeinung) bis zur Bejahung eines Anpassungsanspruchs im Einzelfall (wohl die meisten Gerichte) bzw. mit fixen Quoten 50% (so etwa das KG Berlin).
Das OLG Dresden hatte ebenfalls die Beklagte zur Zahlung der Hälfte der Miete verurteilt und bejahte in den Entscheidungsgründen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 313 I BGB unabhängig von etwaigen gezahlten staatlichen Leistungen. Eine Absenkung der Kaltmiete um 50 % sei gerechtfertigt, da keine der Vertragsparteien eine Ursache für die Störung der Geschäftsgrundlage gesetzt oder sie vorhergesehen habe.
Dieses Urteil hob der Bundesgerichtshof auf und verwies es an das OLG zurück zur weiteren Prüfung.
Grundsätzlich hat auch der BGH einen möglichen Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 I BGB bejaht. Jedoch ist, in Hinblick auf das normative Element des § 313 BGB eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen.
Dieser Anspruch ist auch nicht wegen Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen. In dieser Vorschrift soll, ihrem Wortlaut und Gesetzeszweck nach, allein das Kündigungsrecht des Vermieters beschränkt werden. Aussagen über die Höhe der Miete werden nicht getroffen. Art. 240 § 2 EGBGB stellt folglich keine abschließende Regelung für gewerbliche Mietverhältnisse dar.
Die pandemiebedingte Betriebsuntersagung stellt allerdings keinen Mangel i.S.v. § 536 I 1 BGB dar, weshalb eine potentielle Minderung nicht hierauf gestützt werden kann. Voraussetzung für die Annahme eines Mangels wäre eine gesetzgeberische Maßnahme, welche unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht. Hingegen liegt das Verwendungsrisiko der Mietsache bei der Gewerberaummiete beim Mieter. Durch die vorliegende Allgemeinverfügung wurde jedoch weder der Beklagten die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen, noch der Klägerin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträume verboten. Das Mietobjekt stand trotz der Schließungsanordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung.
Dem Mieter von Gewerberäumen kann allerdings ein Anspruch auf Anpassung der Miete nach § 313 I BGB zukommen, wenn eine Geschäftsschließung vorliegt, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht. Gemäß § 313 I BGB kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Dabei kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Durch die schwerwiegenden Folgen der Covid-19-Pandemie hat sich die Geschäftsgrundlage der Parteien bedeutend geändert. Vorliegend ist die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung wurde durch die behördliche Schließungsanordnung schwerwiegend gestört. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte im vorliegenden Fall nicht vertraglich das alleinige Verwendungsrisiko für den Fall einer pandemiebedingten Schließung ihres Einzelhandelsgeschäfts übernommen.
Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist auch nicht davon auszugehen, dass bei Einbeziehen einer möglichen Pandemie, die Parteien den Vertrag unverändert geschlossen hätten. Erforderlich ist jedoch i.S.d. § 313 I BGB auch, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt.
Im Mietverhältnis trägt auch grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko der Mietsache. In Hinblick auf die Pandemie geht dies jedoch über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Durch die Pandemie hat sich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst ist.
Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Es ist in jedem Fall eine umfassende Abwägung vorzunehmen, bei der unter anderem zu berücksichtigen ist, ob der Mieter pandemiebedingte Leistungen oder Zahlungen aus einer Betriebsversicherung erlangt hat. Der Mieter muss auch darlegen welche zumutbaren Anstrengungen er unternommen hat, um den negativen Auswirkungen zu entgehen. Staatliche Unterstützungen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen außer Betracht, weil der Mieter dadurch keine endgültige Kompensation der Umsatzeinbußen erlangt.
Diese Prüfung muss nun das OLG nachholen.
Hinweis
Der BGH gibt damit die Marschroute für künftige Verfahren vor. Der Mieter von gewerblich genutzten Räumen hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Vertragsanpassung nach § 313 I BGB, kann diesen aber nur erfolgreich geltend machen, wenn er ganz genau darlegen kann welche Nachteile ihm endgültig durch die Geschäftsschließung entstanden sind.
Der BGH möchte damit eine Überkompensation der entstandenen Schäden des Mieters verhindern und die Vermieter schützen. Als nicht erforderlich sieht der BGH die tatsächliche wirtschaftliche Gefährdung der Existenz des Mieters.
Es wurde vorliegend allerdings (noch) nicht entschieden ab welchen Einbußen eine Vertragsanpassung denkbar erscheint. Der Mieter muss damit zukünftig so genau wie möglich darlegen:
- Was wurde zur Minimierung des möglichen Schadens getan?
- Welche Hilfen sind ihm zugeflossen bzw. fließen ihm zu?
- Welche anderen Maßnahmen können zu einer Kompensierung beitragen (z.B. Kurzarbeit)?
Sollte die Interessenabwägung dem Mieter vollumfänglich zugutekommen, ist aber ggf. auch von einer maximalen Absenkung der Kaltmiete in Höhe von 50 % auszugehen.
Rechtsanwalt Dr. Tassilo Eichberger
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Celia Caspary
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